Montag, 30. März 2009

TOSCA, Zürich, 29.3.09



Puccinis Thriller begeistert mit den grandiosen Debüts von Emily Magee (Tosca) und Starbariton Thomas Hampson (Scarpia), sowie dem Publikumsliebling Jonas Kaufmann als Cavaradossi. Doch leider überzeugt Carsens Inszenierung nicht.

Premiere: 29. März 2009

Oper in drei Akten
Musik: Giacomo Puccini
Libretto : Giuseppe Giacosa und Luigi Illica
Uraufführung: 14. Januar 1900 in Rom
Aufführungen in Zürich: So, 29.3.09 | Di, 7.4.09 | Do, 9.4. 09 | Sa, 11.4.09 | Di, 14.4.09 | Do, 16.4.09 | Sa, 18.4.09 | Do, 23.4. 09 | So, 26.4.09

Infos und Karten

Kritik:
Es muss nicht immer TOSCA sein – war man nach den Premierenankündigungen vor einem Jahr, in leichter Abwandlung eines Buchtitels von Simmel, versucht zu sagen. Wenn man jedoch drei Weltstars ans Haus verpflichten kann, dann MUSS es TOSCA sein. Musikalisch blieben an der Premiere deshalb tatsächlich keine Wünsche offen. Emily Magee begeisterte mit einem restlos überzeugenden Rollendebüt als grosse Diva Floria Tosca, von der eifersüchtig Liebenden zur grossen Tragödin, von der humorvollen Frau (ja das gibt es auch in diesem Schauerstück) zur gekonnt mit ihren Reizen spielenden Verführerin durchschritt sie gekonnt ein breites Spektrum der weiblichen Psyche. Ergreifend sang sie ihr grosses Gebet Vissi d’arte, verloren am Bühnenrand stehend, die Stimme verzweifelt aufblühen lassend. Damit reiht sie sich erfolgreich in die Reihe der grossen Primadonnen ein, welche in den vergangenen vierzig Jahren Tosca auf der Zürcher Bühne verkörpert haben, von Antigone Sgourda über die Caballé, die Tomowa-Sintow, die Bumbry, zu Dame Gwyneth Jones und Mara Zampieri. Mit ihrem eher dunklen Timbre harmonierte Emily Magee perfekt mit dem ebenfalls dunkel gefärbten Tenor von Jonas Kaufmann. Er ist der einzige des Protagonistentrios mit Rollenerfahrung. Im ersten Akt überzeugte er mit einer wunderbaren Mittellage, kerniger, männlicher Stimme, ohne die oft so störenden tenoralen Schluchzer vieler seiner Kollegen. Das triumphale Vittoria nach der Folterszene im zweiten Akt gelang vortrefflich und das elegische E lucevan le stelle im dritten Akt gestaltete er vom zarten, fast gehauchten Piano des Beginns zum verzweifelten E muoio disperato des Schlusses mit grosser Spannung, vielleicht mit einer leichten Tendenz zum Manierismus.
Der Auftritt Scarpias im ersten Akt gleicht einem wahren coup de théâtre. Wie ein aalglatter Mephisto erscheint er plötzlich zwischen den Säulen. Thomas Hampson verfügt über einen galanten, eher weichen und vornehmen Stimmklang. Das Durchtriebene, das Perfide dieser Figur erreicht er nicht mit schwarzer, rauer Tongebung sondern er lässt das Böse im Gewand des sarkastisch lächelnden Charmeurs durchschimmern. Dadurch bekommt die Figur eine noch bedrohlichere Dimension. Dem Starbariton gelingt in seinem gefeierten Rollendebüt ein eindringliches Psychogramm des sadistischen, tyrannischen Polizeichefs.
Weniger gelungen ist die Inszenierung, die – nebenbei bemerkt – auch nichts wirklich Neues ist, sie war schon in Hamburg, Antwerpen und Barcelona zu sehen (was aber im Programmbuch nur zu erfahren ist, wenn man die Biographien ganz genau durchliest): Regisseur Robert Carson und Ausstatter Anthony Ward verlegen die bezüglich Zeit und Ort so eindeutig fixierte Handlung auf und hinter die Bühne eines Theatersaals. Das scheint auf den ersten Blick Sinn zu machen, agieren doch die Protagonisten in einem Gebilde aus Lügen, egozentrischer Selbstdarstellung und Intrigen, wie es das Klischee der Theaterwelt so gerne kolportiert. Doch in der Umgebung eines „Theaters auf dem Theater“ verpuffen die von Puccini so genial konzipierten Kontrastwirkungen vollkommen: Das Morbide des ersten Aktes, in welchem vor den Augen der Madonna geflucht, gehasst und geliebt wird, vermag seine Wirkung nur in einer kirchlichen Sphäre zu entfalten und nicht in einem nüchternen Zuschauerraum, wo die Theaterbesucher (weshalb auch immer…) ein TE DEUM anstimmen. Die friedliche Morgenstimmung mit der Hirtenidylle und dem so lautgetreu komponierten Glockengeläute zu Beginn des dritten Aktes soll als Kontrast zur darauf folgenden, grausigen Hinrichtungsszene dienen. In Zürich sieht man nur einen leeren Bretterboden. Da kann Jonas Kaufmann noch so ergreifend singen, echtes Mitgefühl stellt sich nicht ein, es ist ja alles nur Theater. Es scheint fast, man wollte allem Emotionalen aus dem Weg gehen, nur um TOSCA einmal anders als gewohnt darzubieten. Mit Ausnahme der überzeugenden Personenführung im zweiten Akt hat Zürich eine nichtssagende, stimmungs- und belanglose neue TOSCA erhalten. Schade!
So oblag es dem vorzüglich spielenden Orchester und dem Dirigenten Paolo Carignani (nach der Absage von Christoph von Dohnáhnyi kurzfristig eingesprungen), die farben- und kontrastreichen Stimmungen zu erzeugen. Ihnen und der Sängerin und den Sängern gelang eine musikalisch mitreissende Wiedergabe dieser Oper der grossen Gefühle.
Persönliche Anmerkung: TOSCA gehört zu meinen Lieblingsopern. Sie steht aber seit Jahrzehnten praktisch ununterbrochen auf dem Spielplan des Opernhauses Zürich, die letzte Neuinszenierung liegt gerade mal neun Jahre zurück. Man hätte dem Werk (vielleicht auch zur Erarbeitung einer wirklich tiefgründigen Neuinszenierung) gerne mal eine Verschnaufspause gegönnt.

Fazit:
Musikalische eine Sternstunde, die Inszenierung belanglos ärgerlich.

Inhalt:
Die Oper spielt am 17./18. Juni 1800 in Rom.
Der Maler Cavaradossi bietet dem flüchtigen Staatsgefangenen Angelotti ein Versteck an. Der brutale Polizeichef Scarpia hat es auf Cavaradossis eifersüchtige Geliebte, die Sängerin Floria Tosca, abgesehen. Er nutzt ihre Eifersucht und ihren Hang zur Theatralik für seine Interessen aus. Damit will er den Rivalen Cavaradossi und den politischen Gegner Angelotti aus dem Weg räumen. Ein teuflisches Spiel beginnt, in dem Tosca zu spät erkennt, dass nicht sie Scarpia, sondern er sie täuschte. Scarpia verspricht ihr eine Scheinhinrichtung des Fluchthelfers Cavaradossi. Als sie sich Scarpia dafür sexuell hingeben soll, tötet sie ihn. Die scheinbare Hinrichtung Cavaradossis auf der Engelsburg erweist sich als Betrug, Cavaradossi wird erschossen. Tosca stürzt sich vor den Augen der Verfolger von der Brüstung in die Tiefe.

Werk:
Puccinis TOSCA zählt zu den bekanntesten und meistgespielten Opern des gesamten Repertoires. Das kommt nicht von ungefähr. Mit seinem untrüglichen Theaterinstinkt erkannte der italienische Komponist auf Anhieb die Bühnenwirksamkeit des Stoffes (sex, power and crime), kaum hatte er das Schauspiel von Sardou mit Sarah Bernhardt in der Titelrolle gesehen.
Die für die Bühne geforderte Einheit von Ort und Zeit ist in geradezu idealer Weise gewahrt, läuft die Handlung doch innerhalb von nicht einmal 24 Stunden in Rom ab. (Kirche, Palazzo Farnese, Engelsburg). Obwohl der Zeitpunkt des Geschehens klar fixiert ist (17. Juni 1800, Rom), darf nicht übersehen werden, dass Puccini durchaus auch einen Kommentar zu seiner eigenen Gegenwart (restaurative Tendenzen unter Umberto I.) und somit auch einen allgemeingültigen abgab und die oft verhängnisvolle Entente zwischen Kirche und Staatsmacht anprangerte und das Streben nach der Freiheit des Individuums betonte.
Die Musik ist von dramatischer Durchschlagskraft, peitscht die Handlung atemlos vorwärts, die ruhenden Pole, die Arien und Duette, sind relativ kurz gehalten, dafür von unermesslicher Schönheit.
Die Kritik stand dem Werk lange abwertend gegenüber, es wurde als „schäbiger Schocker“ bezeichnet, als „Folterkammermusik“ und „Affenschande“. Doch wird Puccini unterschätzt: Seine TOSCA ist eine dramatisch äusserst stringente Oper, die keine Stilbrüche enthält, wie z. B. die im selben Jahrzehnt entstandenen Werke von Richard Strauss (SALOME / ELEKTRA) mit ihren Walzereinschüben.

Musikalische Höhepunkte:
Recondita armonia, Arie des Cavaradossi, Akt I
Non la sospiri la nostra casetta, Arioso der Tosca, Akt I
Va, Tosca! (Te deum), Scarpia, Finale Akt I
Vittoria, vittoria, Szene Cavaradossi, Scarpia, Tosca, Akt II
Vissi d’arte, Arie der Tosca, Akt II
E lucevan le stelle, Arie des Cavaradossi, Akt III
O dolci mani, Duett Tosca-Cavaradossi, Akt III

Samstag, 28. März 2009

Basel: Dialogues des Carmélites, 27. März 09

Basel zeigt einmal mehr grossartiges Musiktheater, hochkomplex und doch begeisternd und ergreifend.

Premiere: 27. März 2009

Oper in drei Akten
Musik: Francis Poulenc
Text: vom Komponisten, nach dem Bühnenstück von Georges Bernanos
Uraufführung: 26. Januar 1957, Teatro alla Scala, Mailand
Vorstellungen in Basel: 29.3.09 | 3.4.09 | 8.4.09 | 13.4.09 | 5.5.09 | 9.5. 09 | 17.5.09 | 21.5.09 | 24.5.09 | 16.6.09 | 21.6.09

Infos und Karten

Kritik:
Das Theater Basel macht es seinem Musiktheater Publikum wahrlich nicht leicht – und vermag es doch immer wieder zu fesseln: Nach dem überragenden HOLLÄNDER und der packenden LULU folgt nun eine hochkomplexe, aber nichtsdestotrotz tief berührende Inszenierung von Poulencs DIALOGUES DES CARMÉLITES.
Regisseur Benedikt von Peter und sein Team erzählen die tragische Geschichte ganz aus der Sicht der Überlebenden Mère Marie. Diese spürt ihrer Schuld am Märtyrertod ihrer Schwestern nach und versucht das grausige Geschehen zu verarbeiten, indem sie die Geschichte rekonstruiert, mit Hilfe von Bühnenbildmodellen und Figuren in einer mit allerlei Technik vollgestopften Zelle nacherzählt. Ausgangspunkt ist die Schlussszene der Guillotinierung, welche hier in Basel zu Beginn der Aufführung erklingt. Die Nonnen ziehen zum SALVE REGINA an Maries Fotokopierer vorbei, zum Sausen des Fallbeils legen sie ihren Kopf auf die Glasplatte und hängen das entstandene Konterfei in Maries Zimmer auf. Erst nun beginnt die eigentliche Oper, erzählt aus den Erinnerungsfetzen der Mère Marie, wobei diese Erinnerungen immer stärker werden und ihr schliesslich vollständig entgleiten, als eine Hollywood Produktionsfirma sich der Story bemächtigt und daraus die Kitschversion LES DIALOGUES DES CARMÉLITES – THE TRUE STORY dreht. Trotz dieses Erzählens auf mehreren Ebenen folgt man der Handlung tief bewegt.
Blanche ergreift in der Erinnerung immer stärker Besitz von Mère Marie, sie drängt sich auch physisch in ihr Zimmer, spielt mit den Requisiten – und auch eine gewisse erotische Anziehungskraft zwischen den beiden ist auszumachen. Das sind ganz starke Momente der Inszenierung, genauso wie die Szene zwischen der sterbenden Priorin Madame de Croissy und Mère Marie.
Hanna Schwarz, die soeben in Berlin als Klytämnestra und Herodias Triumphe feiern konnte, ist diese Mère Marie: Über drei Stunden agiert die Künstlerin mit einer unglaublich packenden darstellerischen und stimmlichen Intensität auf ihrem kleinen Podest, verarbeitet ihre Schuldgefühle und übernimmt in der Erinnerung sogar gesangliche Phrasen, die eigentlich gemäss Partitur anderen vorbehalten sind. Eine atemberaubende, unter die Haut gehende Leistung.
Mit klarem, leuchtendem Sopran und grosser Darstellungskraft überzeugt auch Svetlana Ignatovich als Blanche, sowohl als die Blanche aus der Erinnerung Maries als auch als Diva der Hollywood Produktion im dritten Akt, wo man sie in Grossaufnahme auf den hastig herbeigeschobenen Leinwänden sehen kann. Alle weiteren Rollen sind ebenso hervorragend besetzt: Rita Ahonen als alte Priorin, Agata Wilewska als Schwester Constance, Sophie Angebault als Madame Lidoine, die neue Priorin, und Rolf Romei als Blanches Bruder verdienen besondere Erwähnung.
Das Sinfonieorchester Basel vollbringt eine überragende Leistung. Es ist auf dem riesigen, dreigeschossigen Metallgrüst positioniert, welches die Schlosserei in aufwändiger Arbeit auf die grosse Bühne gestellt hat. Die Bläser oben links und rechts, die Streicher in der Mitte und die Perkussion unten. Cornelius Meister sitzt weit entfernt von seinem Orchester auf einem Hocker einsam an der Rampe und vermag trotzdem, die Fäden stets beieinander zu halten, die ruhig fliessende Musik mit Spannung und Emphase zu füllen. Man kann sich vorstellen, welch gigantischer technischer Aufwand notwendig war, um allen Musikern den direkten oder indirekten (via Bildschirme) Blick auf den Dirigenten zu ermöglichen Das Resultat spricht für sich: Poulencs herrliche Musik erklingt unter seiner Leitung ganz wunderbar und rundet den eindrücklichen Abend zu einem berührenden Erlebnis.

Fazit:
Das ist Musiktheater wie man es sich wünscht – ergreifend, intelligent und musikalisch hochkarätig!

Inhalt:
Aus Lebensfurcht beschliesst die junge Adlige Blanche de la Force (!) im Jahre 1789 in den strengen Orden der Karmelitinnen einzutreten. Als Schwester Blanche von der Agonie Christi findet sie dort Aufnahme, ist tief erschüttert vom Sterben der alten Priorin, wird unter die strengen Fittiche von Mère Marie de l’Incarnation genommen und freundet sich mit der jungen Schwester Constance an. Nach der Auflösung des Klosters durch das Revolutionstribunal kehrt sie als Magd in das Haus ihres inzwischen hingerichteten Vaters zurück. Sie erfährt von der Verurteilung ihrer Schwestern wegen Hochverrats und fühlt sich dem abgegebenen Gelöbnis des Martyriums verpflichtet, welches Mère Marie durchgesetzt hatte. Blanche folgt den zum Tod durch die Guillotine Verurteilten freiwillig aufs Schafott. Einzig die Initiatorin des Opfergangs, Mère Marie, überlebt die Wirren der Revolution.

Werk:
Die wahre Geschichte um 16 Nonnen, die während der französischen Revolution guillotiniert wurden, bilden den Ausgangspunkt der Geschichte, die Gertrud Le Fort 1931 in die Novelle „Die Letzte am Schafott“ hat einfliessen lassen. Georges Bernanos hat daraus ein Theaterstück gemacht, welches unter dem Titel OPFERGANG EINER NONNE (mit Jeanne Moreau als Mère Marie) auch verfilmt wurde.
Francis Poulenc kürzte das Theaterstück selbst zum Libretto und komponierte eine durchgehend tonale Musik dazu. Damit widersetzte er sich dem damals herrschenden Zwang zum Avantgardismus und zum Serialismus. Seine Musik enthält Anklänge an Monteverdi, Verdi und Mussorgsky und demonstriert damit eine „neue Einfachheit“. Die Orchesterfarben sind meist impressionistisch gehalten, von der grossen Besetzung macht er nur sparsamen Gebrauch. Einzig das auskomponierte Niedersausen des Fallbeils führt in der Schlussszene zu einem veristischen Schockeffekt. Dieser Moment, in welchem die 16 Nonnen das SALVE REGINA intonierend das Schafott besteigen, gehört zu den eindrucksvollsten Musiktheater Momenten überhaupt.

Montag, 16. März 2009

Zürich: Götterdämmerung, 15.3.09


Der mit Spannung erwartete, monumentale Abschluss des Weltendramas um Liebe, Betrug und Macht, ein Werk von ungeheuren Ausmassen - in Zürich ist dieser RING musikalisch mit Juwelen besetzt!
Premiere: 15. März 2009 (Wiederaufnahme)

Dritter und letzter Tag des Bühnenfestspiels DER RING DES NIBELUNGEN
Musik: Richard Wagner
Textdichtung vom Komponisten
Uraufführung: 17. August 1876, Festspielhaus Bayreuth
Aufführungen in Zürich: So, 15.3.09 | Sa, 28.3.09 | Mi, 8.4. 09 | So, 5.7.09
Infos und Karten

Kritik:
Während man sich in anderen Aufführungen von Wagners GÖTTERDÄMMERUNG manchmal fragt, wann endlich die Nornen Hinab zur Mutter singen und damit diesen Teil des Prologs zu Ende bringen werden, überrascht die Zürcher Aufführung mit einer spannungsgeladenen, intensiven Nornenszene. Das ist zum einen das Verdienst der drei hervorragend aufeinander abgestimmten Stimmen von Wiebke Lehmkuhl, Liliana Nikiteanu und Christiane Kohl, zum andern zeigen Dirigent Philippe Jordan und das Orchester der Oper Zürich bereits in dieser oft als langfädig (im wahrsten Sinn des Wortes, da die Nornen sich in den Schicksalsfäden verheddern) empfundenen Szene ihre exzellente Klasse. Vom ersten, schmerzerfüllten Akkord bis zum brillanten Streicherklang des Tagesanbruchs verharrt man in gebannter Spannung, die dann durch Eva Johanssons ersten Auftritt (Zu neuen Taten) leider etwas getrübt wird. Ihre Stimme flackert zu Beginn gewaltig, die Vokalverfärbungen und das Anschleifen der Töne sind noch ausgeprägter als im SIEGFRIED eine Woche zuvor. Doch wie sie sich im Laufe des Abends immer mehr fängt, im Verschwörungsterzett mit Salminen und Davidson zu einer rundum gelungenen Tongebung findet und nach beinahe sechs Stunden zu einem triumphalen Schlussgesang ansetzt, mit gewaltigen Crescendi ihre Stimme zum Blühen bringt – das ist Wagner Gesang, der unter die Haut geht. Zum Niederknien!!!
Als Siegfried hat man ihr einen neuen Partner zur Seite gestellt, Rudolf Schasching. Mit männlich kernigem, manchmal leicht belegtem, aber stets sauber und bruchlos geführtem Heldentenor meistert er die riesige Partie makellos. Man hat ihn in den letzten Jahren in Zürich oft gesehen und gehört – zu Recht bekommt er nun einmal eine Rolle, in der er sein ganzes Können zeigen kann. Er vermag seiner Stimme in der Entführungsszene den baritonalen Klang derjenigen von Gunther zu verleihen und gestaltet im dritten Akt die lange Erzählung äusserst differenziert, zwischen strahlendem Helden und kindlicher Naivität. Grösste Bewunderung!!!
Von den grossen Partien des Werks bleibt noch der Bösewicht Hagen. Matti Salminen singt und gestaltet ihn einmal mehr unübertrefflich, die Schwärze und Kraft seines Basses verleihen dieser Figur ein herausragendes Profil. Grossartig!!!
Das Gibichungenpaar Gutrune und Gunther ist mit Sandra Trattnigg (überzeugendes Rollendebüt) und Cheyne Davidson vortrefflich besetzt, der besorgt beschwörende Alberich von Rolf Haunstein verhilft der Szene mit seinem Sohn Hagen zu einer bewegenden Eindringlichkeit.
Cornelia Kallisch gestaltet die misslungene Mission der Waltraute mit eindringlicher Gestaltungskraft und profunder Tiefe. Die Rheintöchter sind mit den Stimmen von Sen Guo, Anja Schlosser und Irene Friedli bestens besetzt.
Die Inszenierung findet nicht mehr ganz zu den atmosphärisch dichten Bildern der ersten drei Abende. Viele Beleuchtungseffekte wirken beliebig, für das Schlussbild ist Regisseur Wilson etwas gar wenig eingefallen: Trockeneis und ein schnell erlöschender Designkamin, der zum Bühnenhimmel hochfährt. Zum Glück ist alles Tiefgründige in der Musik enthalten – und die wird von Philippe Jordan und dem wiederum grandios spielenden Orchester bezwingend wiedergegeben. Die gross angelegten sinfonischen Zwischenspiele geraten zu absoluten Höhepunkten der Aufführung.
Anmerkung: Was ist bloss mit dem Zürcher Opernpublikum los? Während in anderen Metropolen RING Aufführungen jeweils innert weniger Tage restlos ausverkauft sind, bleiben in Zürich erstaunlich viele Plätze frei. Dieser RING unter dieser Leitung hätte ein regeres Publikumsinteresse wahrlich verdient!
Fazit:
Ein musikalisch bezwingender Abschluss der Tetralogie. Dieser RING ist faszinierend, ein hochkarätiges Schmuckstück im Spielplan des Opernhauses Zürich.
Inhalt des dritten Tages:
Der letzte Teil von in Richard Wagners RING-Tetralogie schildert den Tod Siegfrieds, den Untergang der Götter und die Erlösung vom Ring und seinem Fluch: Siegfried lebt nun mit Brünnhilde zusammen, doch es drängt ihn zu neuen Taten. Als Pfand seiner Liebe überlässt er seiner Braut den Ring. Von dessen Macht weiss er allerdings nichts. Unterdessen hat Alberich mit Grimhild einen Sohn gezeugt: Hagen. Er will ihn benutzen, um wieder in den Besitz des Rings zu gelangen. Hagen weiss um den Ring und seine Macht und gibt Siegfried einen Vergessenstrank. Nun kann sich Siegfried an nichts mehr erinnern. Er erklärt sich einverstanden, Brünnhilde für Gunther freien und kriegt dafür Gunthers Schwester Gutrune zur Frau. Brünnhilde fühlt sich von Siegfried betrogen. Sie verrät Hagen, dass Siegfried am Rücken verletzlich ist. Hagen ermordet Siegfried. Erst nach dem Tod Siegfrieds begreift Brünnhilde, dass sie von Hagen benutzt wurde, weil dieser den Ring erlangen wollte. Brünnhilde nimmt den Ring an sich und reitet in den Scheiterhaufen, auf welchem der tote Held verbrannt werden soll. Der Rhein tritt über die Ufer, die Rheintöchter ziehen Hagen in die Fluten. Das Feuer greift auf Walhall über, das Ende der Götter ist da.
Das Werk:
Die GÖTTERDÄMMERUNG bildet den monumentalen Schlussteil von Wagners Tetralogie, ein Werk von ungeheurem Ausmass und ebensolchen Anforderungen an die Ausführenden. Nach aussen stellt diese Werk – mit einer Aufführungsdauer von sechs Stunden – den opernhaftesten Teil der vier Abende dar, mit grossen arienhaften Szenen und dem Chor, der hier zum einzigen Mal im gesamten RING auftaucht. Daneben kommt das sinfonische Element, als orchestrales Intermezzo, ausgiebig zum Tragen (Siegfrieds Rheinfahrt, Trauermusik, Weltenbrand). Trotz des gewaltigen Umfangs der Partitur herrscht nach dem ruhigen Beginn (Szene der Nornen) eine nie nachlassende Spannung und eine geballte, hochdramatische Erregung. Wagner hat die Charakterzeichnungen der Personen noch weiter verfeinert, die Motive werden kunstvoll verwoben und zu einem eruptiven Schluss gebracht.
Das aussergewöhnliche Drama um Liebe, Macht und gebrochene Verträge findet mit der Rückgabe des fluchbeladenen Rings an die Rheintöchter sein Ende.
Siehe auch: RHEINGOLD
DIE WALKÜRE
SIEGFRIED
Musikalische Höhepunkte:
Tagesanbruch, Prolog
Zu neuen Taten, Brünnhilde-Siegfried, Prolog
Siegfrieds Rheinfahrt, Prolog
Hier sitz ich zur Wacht, Hagen, Akt I
Altgewohntes Geräusch, Brünnhilde-Waltraute, Akt I
Schläfst du Hagen, mein Sohn, Alberich-Hagen, Akt II
Welches Unholds List, Verschwörungsszene Brünnhilde, Hagen, Gunther, Akt II
Mime hiess ein mürrischer Zwerg – Brünnhilde, heilige Braut, Siegfrieds Erzählung, Akt III
Siegfrieds Tod, Trauermusik, Akt III
Starke Scheite schichtet mir dort, Schlussgesang der Brünnhilde, Akt III

Montag, 9. März 2009

Zürich: SIEGFRIED





Dritter Teil des Mammutwerks von Richard Wagner. Inszenierung Robert Wilson, am Pult der junge Schweizer Pultstar Philippe Jordan! Ein Ereignis der Spitzenklasse!

Premiere: 8. März 2009 (Wiederaufnahme)

Zweiter Tag des Bühnenfestspiels DER RING DES NIBELUNGEN
Musik: Richard Wagner
Textdichtung vom Komponisten
Uraufführung: 16. August 1876, Festspielhaus Bayreuth
Aufführungen in Zürich: So 8.3.09 | Mi 25.3.09 | So 5.4.09 | Mi 1.7.09

Infos und Karten

Kritik:
Das Wunder dieser Wiederaufnahme von Wagners Tetralogie DER RING DES NIBELUNGEN im Opernhaus Zürich hat einen Namen: Philippe Jordan! Dies lässt sich bereits nach dem dritten Abend sagen. Sein Dirigat und das hervorragend aufspielende Orchester der Oper Zürich beglücken das Publikum und ziehen es in einen fünfstündigen Bann. Der junge Dirigent lotet die Partitur aufs Genaueste aus, mit nie nachlassender Spannung werden die Bögen gezogen, die Motive herausgearbeitet und wieder miteinander verschmolzen; da werden dynamische Steigerungen von ungeheurem Ausmass laut, aber auch intime und humoreske Momente erhalten die notwendige Aufmerksamkeit. Die vertrackten Temporückungen des Werks hat er wie von Zauberhand geleitet im Griff, wenn es nötig ist, scheut er auch das peitschende Vorwärtsdrängen nicht und fordert damit natürlich auch die Sängerinnen und Sänger aufs Äusserste, aber nicht darüber hinaus!
Dass diese den horrenden Anforderungen gewachsen sind, ist ein weiterer Glücksfall dieser Wagner Abende. Scott MacAllister ist ein strahlender, kraftstrotzender und ausdrucksstarker Siegfried. Sein angenehm heller, kräftiger Tenor zeigt auch nach fünf Stunden praktisch ständiger Bühnenpräsenz keine Ermüdungserscheinungen, ja er vermag sogar in der Schlussszene mit der in enormer Lautstärke jubelnden Brünnhilde von Eva Johansson problemlos mitzuhalten. An ihr bewundert man das schier grenzenlose Stimmvolumen – und fragt sich doch, wie lange das noch gut gehen wird. In den leiseren Passagen wird ihre Stimme leicht brüchig, da geht die Strahlkraft leider schnell verloren. Diese kleine Einschränkung soll jedoch ihre imposante Leistung als hochdramatischer Sopran nicht schmälern.
Volker Vogel ist ein geradezu hinreissender Mime. Er hat sich komplett mit der Konzeption des Regisseurs Wilson identifiziert – seine Bewegungen, seine Mimik und vor allem seine stimmliche Gestaltungskraft lassen diese Interpretation zu einem Ereignis werden! Man ist versucht zu sagen: Besser kann man das gar nicht machen!
Egils Silins singt einen beeindruckenden Wanderer, von der souveränen Autorität im ersten bis zu seinen Zweifeln im Dialog mit Erda und seinem Scheitern am rotznasigen Helden Siegfried im dritten Akt. Die Wärme seiner Stimme, gepaart mit einer hervorragenden Diktion, setzen dem Abend einen weiteren Glanzpunkt auf. In den kleineren Partien kann Zürich mit grossen Namen aufwarten: Matti Salminen gibt einen stimmgewaltigen, sonoren Fafner, Rolf Haunstein ist hervorragend als neidischer, gieriger Nachtalbe Alberich; die kurzfristig eingesprungene Birgit Remmert überzeugt mit weichen, dunkel und samtig dahinfliessenden Klängen als Erda und Sen Guos Sopran (Waldvögelein) leuchtet hell von der Decke in den Saal.
Die Inszenierung und die Lichtgestaltung von Robert Wilson bewähren sich auch im SIEGFRIED. Wunderbar geheimnisvolle, atmosphärische Stimmungen korrespondieren perfekt mit der Musik – ein echter Genuss!

Fazit:
Wer jetzt noch keine Karten für den RING im Opernhaus Zürich hat, soll sich schleunigst drum bemühen! Diese Aufführungen darf sich kein Wagner Fan – oder einer der es werden will – entgehen lassen!

Inhalt des zweiten Tages:
Der Wälsungenspross Siegfried (Sohn der Geschwister Sieglinde und Siegmund, siehe Walküre) wächst beim Zwerg Mime auf. Dieser will sich Siegfrieds Kraft zunutze machen, um das zerbrochene Schwert Notung wieder neu zu schmieden. Siegfried gelingt dies. Damit tötet er den Riesen Fafner, der sich in einen fürchterlichen Drachen verwandelt hat und den Ring des Nibelungen Alberich hütet. Siegfried bemächtigt sich des Rings und des Tarnhelms, trinkt das Blut des Drachen, wird dadurch hellhörig und versteht nun die Falschheit seines Ziehvaters Mime. Er streckt den Zwerg nieder und schlägt auch dessen Bruder Alberich aus dem Feld, der ebenfalls scharf auf den mächtigen Ring ist. Göttervater Wotan (der Wanderer) hat eben vergeblich Urmutter Erda um Rat gefragt, wie seine Machtsphäre noch zu retten sei. Das Waldvögelein führt Siegfried zur schlafenden Brünnhilde. Wotan versucht noch, Siegfried den Zutritt zum Walkürenfelsen zu verwehren. Vergeblich: Der junge Held zerschlägt den Speer des Göttervaters, bricht damit dessen Macht und erweckt Wotans Tochter Brünnhilde, die den strahlenden Helden jubelnd begrüsst.

Das Werk:
Wagner begann bereits 1856 mit der Komposition des SIEGFRIED, brach aber 1857 die Arbeit im 2. Akt ab (er beschäftigte sich zwischenzeitlich mit TRISTAN UND ISOLDE und den MEISTERSINGERN). Er nahm die Komposition erst 1869 wieder auf und vollendete die Partitur 1871.
Bis zum erlösenden, strahlenden C-Dur Finale des dritten Aktes verwendet Richard Wagner in den ersten beiden Akten eher die düsteren Farben des Orchesters. Besonders die starke Präsenz der Bratschen im ersten Akt ist bemerkenswert. Sie charakterisieren die Heimtücke des Mime. Immer wieder erklingt mit den Tuben das schwarze, bedrohliche Motiv des Drachen Fafner, bevor die Hörner dann den Helden Siegfried feiern. Daneben entbehrt jedoch der erste Akt mit dem rotznasigen jungen Siegfried und dem von Falschheit nur so strotzenden Mime nicht einer gewissen Komik.
Wagners orchestrale Instrumentierungs- und Charakterisierungskunst ist in diesem Werk – trotz eines zehnjährigen Kompositionsunterbruchs – auf dem Höhepunkt angelangt. Das Vorspiel zum dritten Akt verwebt äusserst kunstvoll die vielschichtigen Leitmotive.

Musikalische Höhepunkte:
Notung! Notung! Neidliches Schwert, Siegfried, Akt I
Dich holdes Vöglein, Siegfried, Akt II (Waldweben)
Wohin schleichst du?, Alberich-Mime, Akt II
Vorspiel Akt III
Wache, Wala! Wala erwach!, Wanderer-Erda, Akt III
Selige Öde auf sonniger Höh’, Siegfried Akt III
Heil dir Sonne, heil dir Licht, Brünnhilde Akt III
Ewig war ich, ewig bin ich, Brünnhilde Akt III

Montag, 2. März 2009

Zürich: La fedeltà premiata




La fedeltà premiata

Opernhaus Zürich

Das Opernhaus Zürich gedenkt mit grossem Erfolg des 200. Todestages des immer noch unterschätzten Opernkomponisten Haydn. Amüsanter, herrlich erfrischender Opernabend!

Premiere: 1. März 2009

Dramma pastorale giacoso in drei Akten
Musik: Joseph Haydn
Libretto : Giovanni Battista Lorenzi
Uraufführung: 25. Februar 1781 auf Schloss Eszterháza
Aufführungen in Zürich: So, 1.3.09 | Fr, 6.3.09 | Di, 10.3.09 | Sa, 14.3.09 | Di, 17.3.09 | Do, 19.3.09 | Sa, 21.3.09 | Fr, 27.3.09 | Do, 2.4.09

Karten und weitere Infos

Kritik:
Kann man eine Schäferidylle aus dem Arkadien des 18. Jahrhunderts dem heutigen, vermeintlich aufgeklärten Publikum überhaupt noch zumuten? Man kann – wie das Opernhaus Zürich und Regisseur Jens-Daniel Herzog gestern Abend augenzwinkernd und auf äusserst amüsante Art bewiesen haben. Herzog verlegt die Handlung in ein Meditationszentrum eines Gurus in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Das funktioniert bestens, huldigten doch die Jünger Bhagwans einem ebenso passiven Fatalismus und einer Diktatur des Gurus wie die Hirten Arkadiens ihrem Oberpriester und den Göttern.
Schon während der Ouvertüre geraten die Sektenangehörigen (Cumaner) in verzückte Ekstase, hervorragend gespielt und gesungen von vielen Mitgliedern des Opernstudios. Überhaupt ist die Personenführung eine der Stärken dieser Inszenierung: Man denke nur an den schlaksigen Christoph Strehl als Lindoro, mit strähnigem Haar, Hornbrille und Schlaghosen oder an die sich zuerst so altjüngferlich gebende Sandra Trattnig als Nerina, im roten Faltenrock, die erst durch den sie betatschenden Guru so langsam zu einem sexuellen Wesen wird. Beide sind auch stimmlich ganz hervorragend. Das spielfreudige Ensemble lässt sich offensichtlich mit grossem Spass auf die Intentionen des Regisseurs ein und beschert den Zuschauern einen unterhaltsamen Opernabend. Carlos Chausson ist ein auch gesanglich restlos überzeugender, umwerfend komischer Melibeo (Guru). Eva Mei spielt die rach- und eifersüchtige Amaranta; in ihrer grossen Arie „Vanne…Fuggi“ erkennt man musikalisch Parallelen zu Elettra aus Mozarts IDOMENEO, eine Oper, die ziemlich zeitgleich mit Haydns Werk entstand. Auch sonst erinnert vieles an Mozarts Oper: Am Schluss haben wir einen Helden, welcher sich für das Glück der andern opfern will und eine DEA EX MACHINA, die sich versöhnt zeigt und die Liebenden zu ihrem vermeintlich besseren Leben führt. Hier ist es die Göttin Diana (hervorragend und wunderbar kräftig gesungen von Anja Schlosser), welche Regisseur Herzog als Lady Di im Jagdkostüm auftreten lässt (sicher an der Grenze zur Geschmacklosigkeit, und doch hat die Idee etwas für sich). Die labilen Sektenanhänger wenden sich sehr schnell von Melibeo ab und huldigen mit einer erzwungenen Massenhochzeit der neuen Ikone. So schnell kann es gehen von der freien Liebe zu den Ketten der wieder entdeckten Biederkeit der Zweierkiste … Hauptsache man muss nicht selber denken.
Die einzige, welche sich dem Diktat der Führer ein wenig widersetzt, ist die treu liebende Celia. Martina Janková gestaltet die Partie mit hell leuchtendem, höhensicherem Sopran. Sie vermag trotzdem durch zarten, weichen Tonansatz die Schwermütigkeit dieser Figur zu durchdringen. Während des ausgelassenen Finales I zog sie sich einen Muskelriss zu, entschied sich aber – zum Glück – trotz Schmerzen weiter zu singen. So geriet ihre grosse Arie im zweiten Akt vielleicht noch mehr zu einer durch Mark und Bein gehenden, wunderschön gestalteten Klage. Zu Recht wurde sie nach „Ombra del caro bene“ stürmisch gefeiert.
Ihr Partner Javier Camarena als Fileno zeigte ebenfalls eine eindrückliche, zu Herzen gehende Leistung. Wie er im ersten Akt mit tränenersticktem Klang zu „Miseri affetti miei“ ansetzt, die Stimme dann grandios aufblühen lässt und in seiner grossen Szene als gejagtes Schwein im zweiten Akt die schmerzerfüllte Abschiedsklage gestaltet, ist grosse Gesangskunst. Gabriel Bermúdez ergänzt als lüsterner und doch feiger, aber auch akrobatischer Schürzenjäger Perrucchetto das exquisite Ensemble.
Bei dieser Produktion lohnt es sich sehr, auf das Orchester zu hören. Was Joseph Haydn da an Finessen und Witz eingebaut hat, ist einfach köstlich. Wenn die Musik dann noch so erfrischend dargeboten wird wie durch das Orchester der Oper Zürich unter dem Haydn Spezialisten Adam Fischer, dann ist das gleich ein doppeltes Glück. (Von Adam Fischer ist auch eine Gesamteinspielung aller 104 Sinfonien auf CD erhältlich, welche als Referenzaufnahme gilt.)
Persönliche Anmerkung: Jetzt weiss ich auch, warum ich vor 35 Jahren die Produktion dieses Werkes hier in Zürich so oft besucht habe: Es ist einfach eine erfrischende, musikalisch reizvolle Oper!

Fazit:
Durch ein spielfreudiges Ensemble witzig umgesetzte Sektenstory. Entzückende musikalische Kostbarkeiten. Die Ehrenrettung des Opernkomponisten Haydn ist vollumfänglich geglückt.

Inhalt:
Wegen eines Frevels in ihrem heiligen Tempelbezirk verlangt die Göttin Diana, dass jährlich zwei treue Liebespaare einem Ungeheur geopfert werden. Aus Angst zum treuen Liebespaar gewählt zu werden, verstellen sich die Protagonisten, gehen Beziehungen ein, die sie nicht ernst meinen, wecken Hoffnungen und bewirken Enttäuschungen. Erst als sich Fileno heldenmütig zum Opfertod bereit erklärt, um seine Geliebte Celia (Fillide) zu retten, zeigt sich die Göttin besänftigt und führt die liebenden Paare zusammen. Einzig der intrigante Priester Melibeo bleibt auf der Strecke …

Werk:
Joseph Haydn (1732 – 1809) wird oft als Vater der Sinfonie (nicht weniger als 104 Sinfonien hat er komponiert) und des Streichquartetts bezeichnet (die Melodie zur deutschen Nationalhymne entstammt seinem Kaiserquartett). Neben Messen, Oratorien und Solokonzerten hat Haydn aber auch 24 Opern hinterlassen. Obwohl ihm nicht wie Mozart (mit Lorenzo da Ponte) ein genialer Librettist zur Seite stand, erreichen Haydns Vokalkompositionen eine Meisterschaft, welche durchaus Vergleichen mit Mozarts genialen melodischen Einfällen standhält.
Die lange Zeit in verschiedenen Archiven schlummernde Partitur von LA FEDELTÀ PREMIATA konnte erst in den 60er Jahren des vergangen Jahrhunderts rekonstruiert werden. Sie wurde auch in Zürich schon mit grossem Erfolg aufgeführt (1974/75 in einer Inszenierung von Jean-Pierre Ponnelle, u.a. mit Charlotte Berthold, Marilyn Zschau und der bezaubernden Ruth Rohner).

Musikalische Höhepunkte:
Ouvertüre: Als Finalsatz der Sinfonie Nr. 73 „La Chasse“ berühmt geworden
Miseri affetti miei, Arie des Fileno, Akt I
Vanne…fuggi…traditore! Arie der Amaranta, Akt I
Coll’ amoroso foco, Arie des Perrucchetto, Akt I
Questi torti, questi affronti, über 800 Takte gehendes Finale Akt I
Ah come il core mi palpita…Ombra del caro bene, Szene und Arie der Celia, Akt II
Barbaro conte…Dell’amor mio fedele, Szene und Arie der Amaranta, Akt II
Quel silenzio e quelli pianti, Finale Akt II (nochmals 506 Takte!)
Ah se te vuoi, ch’io viva, Duett Celia-Fileno, Akt III